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Mathematische Modelle für neue Einblicke in die Immunantwort

Mathematische Modelle für neue Einblicke in die Immunantwort

Forschende des Uniklinikums Erlangen und der FAU kombinieren experimentelle Daten mit Methoden des maschinellen Lernens

Beim Kampf gegen Infektionen oder Tumoren müssen ganze Armeen von Immunzellen ihr Verhalten koordinieren. Ein Team des Uniklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wird in den kommenden drei Jahren untersuchen, welche Immun-Prozesse dabei eine Rolle spielen. Die Forschenden konzentrieren sich auf die sogenannten T-Zellen. Diese schwärmen bei einem Einsatz aus, vermehren sich dabei und entwickeln sich zu unterschiedlichen Varianten. Das Team möchte herausfinden, wie diese Vorgänge ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen. Dazu analysieren sie das Verhalten der T-Zellen mit Hilfe mathematischer Methoden. Dabei kommen auch lernfähige KI-Algorithmen zum Einsatz. Die Boehringer Ingelheim-Stiftung fördert das Projekt mit knapp 500.000 Euro.

T-Zellen haben etwas von einem gut trainierten Polizeihund: Solange sie nicht erkennen, dass sich gerade irgendwo im Organismus ein „Unhold“ in Form eines Erregers oder einer bösartigen Zelle herumtreibt, verharren sie ruhig im Lymphknoten. Sie werden erst aktiv, wenn ihnen die körpereigene Spurensicherung ein „Besitzstück“ des Krankheitserregers unter die Nase reibt. 

Sobald das passiert, beginnen sich die Zellen rasant zu teilen und wandeln sich in verschiedene Zelltypen um, die bei der Bekämpfung der Gefahr unterschiedliche Funktionen übernehmen. Binnen kurzer Zeit entsteht so ein ganzes Heer aus verschiedenen Spezialkräften. Darunter sind beispielsweise die sogenannten Killer-T-Zellen, die infizierte Körperzellen oder Krebszellen aufspüren und abtöten können, oder regulatorische T-Zellen, die die Immunreaktion so dosieren, dass sie nicht zu stark oder zu schwach ausfällt. Ein Großteil der Abwehrtruppen schwärmt dann zum Ort der Infektion oder Entzündung aus.

„Eine effektive Immunantwort erfolgt nur dann, wenn die richtigen Immunzellen in der richtigen Zahl und Zusammensetzung zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind“, erklärt Prof. Dr. Frederik Graw von der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie (Direktor: Prof. Dr. Andreas Mackensen) des Uniklinikums Erlangen. „Wir wollen wissen, wie dabei verschiedene Mechanismen zusammenspielen.“ Prof. Graw ist Mathematiker; er leitet am Uniklinikum Erlangen die Arbeitsgruppe „Modellierung von Immunprozessen“. In dem jetzt von der Boehringer Ingelheim-Stiftung bewilligten Projekt wollen seine Mitarbeitenden und er das Verhalten von T-Zellen im Verlauf einer Immunreaktion durch die Kombination von experimentellen Daten und neuen mathematischen Methoden analysieren. 

T-Zellen beeinflussen sich gegenseitig

Das ist alles andere als trivial. Denn Immunzellen handeln nicht jede für sich, sondern können sich durch das Ausschütten von Botenstoffen gegenseitig beeinflussen. Welchen Karriereweg eine T-Zelle bei ihrer Aktivierung einschlägt - ob sie also etwa zu einer Effektorzelle wird, die die Herausforderung direkt bekämpft, oder zu einer Gedächtniszelle, die langfristigen Schutz erlaubt -, hängt vom Cocktail der Signalmoleküle in ihrer Umgebung ab. „Auch die Migration der Zellen, also ihre Einwanderung in bestimmte Gewebe und Organe, wird durch Botenstoffe und Rezeptoren auf der Zelloberfläche gesteuert“, sagt Frederik Graw. „Diese Rezeptoren und Moleküle entscheiden also beispielsweise darüber, ob eine Zelle im Lymphknoten verbleibt oder aber in andere Gewebe ausschwärmt.“

Um diese Prozesse besser zu verstehen, werden die Forschenden mathematische Modelle entwickeln und mit experimentellen Daten kombinieren, die sie von Partnerinnen und Partnern am Uniklinikum Erlangen und von internationalen Gruppen erhalten. Dabei wollen sie untersuchen, inwieweit individuelle Zelleigenschaften Aussagen über die Entwicklung einer Immunantwort erlauben. Hierzu werden auch Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen. Diese selbstlernenden Verfahren justieren gewissermaßen verschiedene Stellschrauben des Modells nach, bis die nachgestellte Immunreaktion mit dem übereinstimmt, was sich in den Experimenten tatsächlich beobachten lässt. Das Projekt passt sich daher sehr gut in den KI-Gesundheitsknoten Erlangen ein, mit dem die bayerische Landesregierung die Vernetzung von Künstlicher Intelligenz und Medizintechnik fördert.

„Unsere Ergebnisse sollen dabei helfen, die Entwicklung von T-Zell-Antworten bei Infektionen und Krebserkrankungen besser zu verstehen“, betont Prof. Graw. „Dabei wollen wir uns insbesondere der Frage widmen, welche Rolle die Zellmigration spielt und wie sich Immunantworten in einzelnen Geweben bilden.“ Auf lange Sicht können die Erkenntnisse möglicherweise zur Entwicklung neuer Immuntherapien beitragen, etwa zur Behandlung von Krebs oder von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. 

Über das Rise up!-Programm

Die Boehringer Ingelheim-Stiftung fördert das Projekt im Rahmen ihres „Rise up!“-Programms bis 2027 mit knapp 500.000 Euro. Das Programm richtet sich an herausragende und kreative Grundlagenforscherinnen und -forscher aus Biologie, Chemie und Medizin. 

Quelle: uni | mediendienst | forschung Nr. 51/2024

Weitere Informationen: 

Prof. Dr. Frederik Graw
09131 85-47601
frederik.graw(at)uk-erlangen.de